2021-09-18 | Die Presse "COMEBACK"Die Presse "COMEBACK" Teil 1 - Ein Gespräch mit ÖRAG Vorstand Stefan Brezovich
ÖRAG Leitbild: „Wir umsorgen den Lebensraum von Menschen“
Interview. Warum bei der ÖRAG das operative Geschäft auch in Krisenzeiten immer weiterläuft und wie sich die Situation auf den Wiener Wohn-, Büro- und Retailmärkten darstellt: Ein Gespräch mit ÖRAG Vorstand Stefan Brezovich über die Folgen von Corona auf Unternehmen und Wirtschaft.
Seit rund eineinhalb Jahren hält die Pandemie die Wirtschaft in Atem. Wie hat sich diese Krisenzeit auf die ÖRAG ausgewirkt?
Wahrscheinlich nicht in der gleichen Art wie bei vielen anderen Unternehmen aus der Wirtschaft und auch aus der Immobilienwelt. Für manche Branchen, wie beispielsweise Tourismus und Gastronomie, war die Krise mit Sicherheit eine zuweilen schwer bis kaum zu bestehende Härteprüfung. Massiv zugesetzt hat die Situation auch vielen Immobilienunternehmen, etwa wenn Mietausfälle im Retailgeschäft zu beklagen waren.
Bei der ÖRAG ist die Ausgangslage eine andere. Das liegt in der Natur des Unternehmens. Wir haben uns als Partner für alle Dienstleistungen rund um die Immobilie etabliert. Unser Angebot umfasst die Bereiche Immobilienvermittlung, Liegenschafts- und Hausverwaltung, Immobilienbewertung, Facility Management sowie Architektenleistungen & Baumanagement. Kurz gesagt: Wir umsorgen den Lebensraum von Menschen, ob ihr Zuhause, ihr Büro oder ihre Einkaufsmöglichkeiten. Diese Dienstleistung muss immer stattfinden. Wir haben also auch während der Lockdown-Phasen unsere Geschäftstätigkeit wahrgenommen.
Ist die Krise demnach spurlos am Unternehmen vorübergegangen?
Wir haben wie gesagt eine Aufgabe als Grundversorger im Bereich Wohnen, Office und Retail. Unseren MitarbeiterInnen wurden Bescheinigungen ausgestellt, damit sie auch in den Lockdown Perioden arbeiten können. Wir haben einen Großteil des regulären operativen Betriebs aufrechterhalten, auch in unseren Büroräumlichkeiten. Und wir haben weder MitarbeiterInnen coronabedingt gekündigt, noch staatliche Unterstützungen beansprucht – mit Ausnahme von Kurzarbeit-Regelungen in wenigen Teilbereichen während des ersten Lockdowns. Darauf sind wir stolz, weil es ein Zeichen und Beleg für unseren Grundsatz des verantwortungsvollen Handelns ist. Wer langfristig ordentlich wirtschaftet, hat in der Regel gewisse Reserven, um unerwartete Ereignisse abfedern zu können. Um Ihre Fragen konkret zu beantworten: Auch wir haben die Krise natürlich bei den Umsatzzahlen gespürt. Aber die Geschäfte sind ohne echte nennenswerte Ruhe- und Rückzugsphasen weitergelaufen.
Welche Bereiche der ÖRAG waren besonders krisenfest, welche mussten zumindest zwischenzeitlich „leiden“?
Schwierige Phasen durchlebte das Maklergeschäft. Wohnungen zu vermieten und zu verkaufen, wenn Besichtigungen aus Kontaktgründen nicht möglich sind, hat sich als problematisch erwiesen. Wir haben natürlich digitale Tools forciert. Bewährt hat sich etwa das Filmen von Wohnräumen, damit sich Interessenten online ein möglichst gutes Bild machen können. Aber ein Film ersetzt keine Begehung, so wie digitale Kommunikation den direkten persönlichen Kontakt nie gleichwertig ersetzen kann – bei aller Liebe und Trends zu hilfreichen digitalen Werkzeugen. Keinerlei Einbußen im operativen Geschäft gab es bei der Bewertung, die zumeist am PC vonstattengehen kann, und beim Facility Management, weil die Funktionsfähigkeit von Gebäuden immer und unabhängig von Lockdown-Szenarien erhalten werden muss. Auch das Baumanagement hat nicht wirklich gelitten.
Speziell gefordert, sogar mehr als in „normalen Zeiten“, waren und sind wir wiederum im Bereich der Liegenschafts- und Hausverwaltung. Das hat vor allem mit Regelungen zu Mietzinsminderungsbegehren im Rahmen der Covid-19-Gesetze zu tun und mit dem teils großzügigen, teils restriktiven Regelumgang seitens der Vermieter. Als Verwalter ist die ÖRAG die kommunikative Schnittstelle zwischen Mietern und Vermietern. Die finale Entscheidung über die Gewährung von Mietzinsminderungen liegt jedoch bei den Eigentümern. Wir mussten vor allem bei hilfesuchenden Mietern das Bewusstsein schärfen, dass wir Ansprechpartner ohne Entscheidungsmacht sind. Das stellt uns bis heute vor große Herausforderungen als Hausverwalter.
Kommen wir auf die Situation der Wiener Immobilienbranche im Allgemeinen zu sprechen. Was sind die wesentlichsten Entwicklungen bei Wohnen, Büro und Retail?
Der Wiener Wohnungsmarkt ist aktuell von einer intensiven Bautätigkeit geprägt, die Antwort auf das anhaltende Bevölkerungswachstum in der Bundeshauptstadt gibt. Laut Statistik Austria Prognose wird Wien 2028 die Zwei-Millionen-Einwohner- Marke knacken und bis 2048 um die heutige Größe von Graz wachsen. Unabhängig von der Frage, ob das in diesem Umfang sinnvoll ist, steht fest: Es braucht ständig mehr Wohnraum.
Wien ist nicht zuletzt coronabedingt auch ins Zentrum des Interesses von nationalen und internationalen Investoren gerückt. Eine der Konsequenzen ist ein erstmaliger Marktüberhang von Miet- gegenüber Eigentumswohnungen. Die steigenden Eigentumspreise sind eine Folge des Mechanismus von Angebot und Nachfrage, dem auch politische Entscheidungen zugrunde liegen. Das betone ich gerne extra, weil ich es sachlich für nicht gerechtfertigt halte, wenn ständig insbesondere die Immobilienbranche für Preissteigerungen verantwortlich gemacht wird.
In einer sehr stabilen Verfassung befindet sich der gut durchleuchtete und analysierte Büromarkt. Die Coronakrise hat speziell das Thema Home Office in den Vordergrund gerückt und viele gehen davon aus, dass sich das langfristig auf einen geringeren Flächenbedarf bei Büros auswirken wird. Das sehe ich nicht so. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Mitarbeiter auf eigene, dauerhafte Arbeitsplätze im Büro nicht verzichten wollen und dass die Anwesenheit in der Firma ganz wesentlich zur Kommunikation und positiven Identifikation mit dem Unternehmen beiträgt. Der Flächenbedarf ist keine mathematische Gleichung nach dem Motto „20 Prozent Home Office, 20 Prozent weniger Büroräume“ und wird also meiner Ansicht nach erhalten bleiben.
Die intensivste coronabedingte Wandlung macht wohl der Retail- Bereich durch. Digitalisierung und E-Commerce haben sich im letzten Jahr bewährt. Analoges Einkaufen ist eindeutig unter Druck, wobei dies vor allem mäßige Shoppinglagen betrifft. Der Handel ist in einer großen Umbruchsphase, was zukünftig zu einer Reihe von innovativen Anpassungskonzepten führen wird. Man darf gespannt sein.